Erinnerst du dich an dein letztes Klassentreffen? Oder steht vielleicht eines kurz bevor?

Meines liegt gerade mal einen Monat zurück. Ich hatte ein Abitreffen in meiner Heimatstadt Offenbach am Main und bin mit großer Vorfreude dorthin gefahren, aber auch mit einer gehörigen Portion Aufregung im Gepäck – wie wird es wohl sein, Menschen wiederzutreffen, die vor vielen Jahrzehnten einmal sehr wichtig in meinem Leben waren – und die ich dennoch aus den Augen verloren habe?

Meine beste Freundin aus alten Zeiten war aus Hamburg angereist und wir haben uns – obwohl unsere jeweiligen Eltern in Offenbach leben – den Spaß gemacht, uns gemeinsam ein Hotelzimmer in der Stadt zu buchen. Die Verlockung, eine Nacht durchzuquatschen, war größer als die Vernunft, geldsparend in unseren alten Kinderzimmern zu schlafen. Und weil das Schicksal es offenbar so wollte, nächtigte ausgerechnet die einstige große (und auch ein wenig unglückliche Liebe) meiner Freundin ebenfalls in diesem unseren Hotel. Nein, zum Ausklang des Treffens mit über 60 früheren Klassenkameradinnen und Klassenkameraden ist dann im Hotel nicht das passiert, was ihr jetzt möglicherweise vermuten mögt…, es gab kein Liebesrevival mit meiner Freundin und diesem mittlerweile 54-Jahre alten Schulkollegen – der übrigens für mich in Schulzeiten immer ein sehr guter Kumpel und Freund war – sondern wir hatten eine unglaublich gesprächsintensive Nacht zu dritt im dunklen einsamen Foyer des Hotels – bis in die Morgenstunden haben wir alte Zeiten aufleben lassen.

Wir sprachen über Höhenflüge und emotionale Tiefschläge als Teenager, verpasste Chancen, manchmal verletzte Gefühle, aber auch große Momente der Verliebtheit und Leichtigkeit. Früher eben.

Die Dreier-Clique aus den 80ern: 35 Jahre nach dem Abi sind wir immer noch sehr vertraut.

Als wir uns am nächsten Tag verabschiedeten, haben wir ein Tränchen verdrücken müssen, so schwer fiel uns der Abschied, so sehr waren wir wieder in die Zeit eingetaucht, als wir noch 16 waren, jung, unsicher und doch so voller Tatendrang.

Über mehr als drei Jahrzehnte später fühlt es sich rückblickend schön, aber auch irgendwie merkwürdig an, eine solche kurze Zeitreise gemacht zu haben. Auf dem Nachhauseweg geht mir vieles aus meiner Jugend wieder durch den Kopf, es ist faszinierend, wie sehr ich mein altes Ich wieder gespürt habe. Kennt ihr dieses Gefühl?

Auch, wenn wir zwischendurch Kinder bekommen, geheiratet, in andere Städte gezogen sind, berufliche Herausforderungen gemeistert haben – dieses Gefühl von „damals“, all die Gedanken und Gefühle, die waren so abrufbar und erschreckend präsent bei mir. Ich habe mich an diesem Abi-Abend wie zurückgebeamt gefühlt – und es hat eine Weile gedauert, bis ich zu Hause bei meiner Familie wieder mental in meinem jetzigen Leben angekommen war. Es wäre so schön, all diese lieben Menschen, die man getroffen hat und alte Zeiten hat aufleben lassen, wieder häufiger zu sehen. Aber kann das wirklich klappen? Wir alle haben so viel neue Freunde im Leben dazugewonnen und wohnen meist weit voneinander entfernt.

Dieses Wochenende hat mich nachdenklich zurückgelassen. Gleichzeitig sehr dankbar für all die schönen Gespräche und Umarmungen. Aber es gehört alles in eine andere Zeit – und dort darf es auch bleiben. Bleiben als Erinnerung an Erfahrungen, die uns zu dem gemacht haben, was wir heute sind.

Ein Foto aus dem Sommer 2004: Junges Mami-Glück mit dem ersten Töchterlein.

Erinnerung ist ein gutes Stichwort zu einem ebenfalls sehr persönlichem Thema, das mich in diesen Tagen beschäftigt: Meine älteste Tochter ist gerade ausgezogen und versucht nun, sich mit ihrem Freund ein eigenes Leben aufzubauen. Ich, die vorher große Töne spuckte, dass es mit 20 auch mal gut tut, auf eigenen Beinen zu stehen, ertappe mich dabei, wie ich abends versonnen alte Kinderbilder von ihr anschaue. Die Zeit ist so schnell vergangen. Keiner dieser schönen Momente lässt sich je real wiederholen. Zeitreisen können wundervoll sein – und doch gleichzeitig eine große Portion Wehmut auslösen.

Dass das nicht nur mir so geht, zeigte sich mir kürzlich auch beim wöchentlichen Besuch meiner 81-jährigen Tante. Beim Betreten ihres Appartements sehe ich sie versonnen am Tisch sitzen, alte Fotos betrachtend. Auf einem ist sie etwa Ende 20 und blickt zart lächelnd  in die Kamera. „Damals habe ich gerade einen jungen Mann kennengelernt“, beginnt sie zu erzählen, die sonst kaum etwas über ihre Privatsphäre preisgibt. Sie lächelt versonnen. „Aber daraus ist leider nichts geworden“. Sie schweigt und blickt weiterhin fast träumerisch auf das Foto, das sicherlich dieser junge Mann einst von ihr aufgenommen hat. Da sind  sie wieder, die Erinnerungen. Und mit ihnen der süße stechende Schmerz der Vergänglichkeit.

Wichtige Punkt eines erfüllten Lebens: Während eines Vortrags auf ein Zettelchen „geschmiert“, hinterlassen sie im Alltag nachhaltigen Eindruck.

Wenige Tage später darf ich beim Besuch des Tags der Offenen Tür vom Hospizverein Coburg (eine Freundin arbeitet dort, und ich interessiere mich für dieses Thema)  Prof. Johannes Kraft, den Leiter der Coburger Geriatrie, treffen. Da wir uns schon länger kennen, entstand mit ihm, dem Pro-Aging-Experten, ein intensives und durchaus fröhliches Gespräch über das Älterwerden. Ich erinnerte mich dabei an fünf Wörter, die er einmal bei einem Vortrag als goldene Regeln für ein gesundes Leben in jedem Altersstadium anpries, und die ich so schön fand, dass ich sie als kleine Notiz immer noch unter meiner Schreibtischunterlage klemmen habe:

„Lernen, Lachen, Laufen, Lesen, Lieben“, steht darauf geschrieben. Als ich ihm das erzählte, lächelte er herzlich und sagte: „Ja, das stimmt, diese fünf Pfeiler sind sogar wissenschaftlich erwiesen.“

Es sind schöne fünf Dinge, die ich alle  – das eine mal mehr als das andere – mit großer Sorgfalt versuche, täglich in mein Leben zu integrieren. Denn alt, das möchte ich natürlich gerne werden – möglichst gesund. Wäre doch toll, wenn ich auch mit 80 Jahren noch zu einem Abitreffen reisen könnte?

Abitreffen in Romanform: Julia Karnick (links) hat ein fesselndes Buch geschrieben über eine Liebe, die dreißig Jahre Anlauf braucht. Auf dem Foto habe ich gerade ein Exemplar für meine Freundin erworben.

Für eines dieser 5-L-Wörter, das Lesen, möchte ich euch noch einen Tipp mitgeben, und zwar meinen persönlichen Buchtipp des Monats: Es ist – wie könnte es am Ende dieses „What´s up?“-Themas anders sein – ein Buch über die Folgen eines Abitreffens der 50-jährigen Frie und ihres Jugendfreunds Robert, die sich über die Jahrzehnte nie ganz vergessen haben. Wie passend, dass die Autorin Julia Karnick aus Hamburg in diesen Tagen in Coburg in der Buchhandlung Riemann dieses neue Buch bei einer beeindruckenden Lesung vorgestellt hat. Der Titel: „Man sieht sich“ (Verlag dtv)

Es geht um alte Zeiten und wieder erwachte Gefühle, um Menschen, die einen das ganze Leben begleiten. Schön, nicht wahr? Erinnert mich an meine Freundin und unsere unvergessliche Nacht im Hotelfoyer. Ich werde ihr dieses Buch schenken. Die Widmung von Julia Karnick steht schon drin.

Habt eine gute Zeit! Und vergesst nicht zu lernen, zu lachen, zu laufen, zu lesen und zu lieben – ein Leben lang.

Eure Christina

Eine Antwort

  1. Ach Christina, das ist ein wunderschöner inspirierender leichtlebiger frischer und liebevoller Beitrag von dir, der mir den Sonntag-Morgen verschönt hat.
    Gleich werde ich bei diesem trüben Wetter versuchen, zu lachen zu lieben, zu gehen … gelesen habe ich schon😘

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert